Nein, wir brauchen keine Eurobombe, Lars Pohlmeier

Veröffentlicht am 19. März 2024 um 20:18

Dr. med. Lars Pohlmeier ist Vorsitzender der deutschen Sektion der IPPNW und u.a. (s.u.) Mit-Initiator der ICAN-Kampagne (International Campaign to abolish Nuclear Weapons), die 2017 den Friedensnobelpreis erhielt. Jetzt äußert er sich zur Eurobombendebatte mit klaren Worten und stellt fest - neben des Irrglaubens, damit Sicherheit zu schaffen, da es um Eskalation geht - , dass es sich hier um einen Vertragsbruch handeln würde.

Im Anschluss habe ich das Video der Lanz-Sendung vom Mai 2022 verlinkt, in der er auch zu Gast war. Sie war eine der letzten, die ich mir angesehen hatte. Es war schlicht nicht mehr zu ertragen, wie grundsätzlich in einem Format 4/5 gegen 1 die anscheinend Kriegsberauschten gegen diejenigen, die für einen Waffenstillstand und Verhandlungen plädierten, hetzten und sie vor laufender Kamera niedermachten. Jeglicher vernünftige Vorschlag, selbst eine Diskussion über Möglichkeiten und Alternativen zu einer Eskalation - einfach alles, was mit Deeskalation und Frieden zu tun hatte - wurde kurzerhand ignoriert, diffamiert oder sehr oft sogar mit einer scheinbar alles überlegenen Hybris belächelt. Das unendliche Leid dort schien keinen zu interessieren, denn man wollte verbissen das Ganze weiterführen. Eben die verdrehte Logik des "Waffen schaffen Frieden".

Jetzt, 2 Jahre später, sehen wir ja, was sie geschaffen haben: Hunderttausende Tote und Kriegsversehrte, Millionen Hinterbliebene (zerstörte Familien und eine ganze Generation traumatisierter Kinder), eine riesige zerstörte, verminte und verseuchte Region und: einen Patt. Dieser Patt - oder Abnutzungskrieg - war von vornherein absehbar (wir haben das immer gesagt), denn nur ein Ausbrechen aus diesem "herkömmlichen" Krieg, d.h. z.B. die Verwendung von Atomwaffen, hätte etwas geändert. Das wollte zwar keine Seite (allerdings wurde schon damals in Talkshows über sog. "begrenzte" Atomkriege mit sog. "taktischen" Atomwaffen gesprochen, als ginge es um`s Wetter), aber die Verlängerung war durchaus so gewollt - man überschätzte sich maßlos und dachte, man könne Russland damit schwächen (die Ausführenden und damit Leidtragenden waren (und sind) v.a. die Soldaten an der Front und die vielen zivilen Opfer).

Heute sieht man, dass die NATO und die EU sich mit diesem Kurs vom Rest der Welt entfernt haben und damit geschwächt sind. Das zeigt sich auch immer mehr in den UN-Versammlungen und deutlich bei den BRICS+. Im Ausland wird mittlerweile mit "german-free"-Produkten geworben, man will mit uns nichts mehr zu tun haben... Doch anscheinend ist das nach wie vor bei den Verantwortlichen nicht angekommen, sie eskalieren immer weiter. Ich hatte schon 2022 gefragt, wo das hinführen soll, gerade auch die Debatte um immer schwerere Waffen (als hätten diese die Russen nicht und könnten nicht mitziehen): etwa bis zur Atombombe? Und jetzt sind wir an diesem Punkt angelangt (weiter geht es nicht)! Wenn sie also nicht schnellstmöglich ihren Eskalationskurs ändern, dann führt das unweigerlich in den nuklearen III. Weltkrieg. Cui bono?

"Nein, wir brauchen keine Eurobombe"

"Während die geopolitische Lage zunehmend eskaliert, diskutiert man nun, ob die EU nicht eigene Atomwaffen bräuchte. Doch das wäre der falsche Weg und würde uns nur der Vernichtung näher bringen...

Ex-Außenminister Joschka Fischer sprach sich jüngst in einem Interview für »eine eigene atomare Abschreckung« Europas aus. Kurz zuvor hatte der Politikwissenschaftler Herfried Münkler etwas ganz Ähnliches gesagt: »Wir brauchen einen gemeinsamen Koffer mit rotem Knopf, der zwischen großen EU-Ländern wandert.« In der Politik wurde der Spielball mitunter dankend angenommen...

Die derzeit wieder einmal neu inszenierte Debatte um eine atomare Bewaffnung Europas erfolgt nicht in einem rechtsfreien Raum", denn die »Eurobombe« würde klar gegen den von Deutschland unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag verstoßen...

»Die Bundesrepublik, die US-Atomwaffen auf ihrem Territorium stationiert, will sich als verantwortungsvolle Friedensmacht darstellen, ist aber unter diesem Gesichtspunkt nichts anderes als das ›Belarus der NATO‹.«

"Zu glauben, die atomare Abschreckungsdoktrin schaffe Sicherheit, ist ein Mythos. Die atomare Aufrüstung Europas würde uns im Gegenteil an den Rand eines Atomkrieges führen..."

Lars Pohlmeier fragt, wie es gelingen sollte, Parität mit einer Eurobombe herzustellen, "wenn jede Aktion der westlichen Staatengemeinschaft zu einer unangenehmen Reaktion auf der russischen Seite führt?

Denn so funktioniert Abschreckung wirklich: eskalierend..."

Gerade jetzt wäre es also wichtiger denn je, die bestehenden Rüstungskontroll-Verträge auszuweiten, was die NATO bisher allerdings "in schöner Einigkeit mit China, Nordkorea und Russland nicht tut –

Ländern also, denen wir angeblich moralisch so weit überlegen sein sollen. In der Abrüstungspolitik stimmt das leider nicht. Da kommt der NATO-Hochmut vor dem Fall...

General Lee Butler, der ehemalige Oberbefehlshaber der US-Atomstreitkräfte, hat im Jahr 2014 gesagt, es sei nur Glück und Gott zu verdanken, dass es bislang nicht zu einem Atomkrieg gekommen ist. Es wäre klüger, sich seiner Worte zu erinnern, als ideologische Atomwaffen-Hasardeure aufs Feld der politischen Debatte zu schicken.

Gerade in der Krise sind neue diplomatische Initiativen der einzig gangbare Weg in die Zukunft." "

Nein, wir brauchen keine Eurobombe, sondern Menschen mit Herz und Verstand, die uns nicht in den Ruin treiben, sondern zum Wohle aller durchdachte und vernünftige Entscheidungen treffen. Herzlichen Dank, Lars Pohlmeier!


Die Bedeutung von Waffen für den Krieg und Verhandlungen mit Russland | Markus Lanz vom 10. Mai 2022

ZDFHeute Nachrichten, Markus Lanz vom 10. Mai 2022, 11.05.2022

Sendung in voller Länge noch bis zum 09.05.2024 in der ZDF Mediathek abrufbar.

Zu Anton Hofreiter:

"Ihre politische Verantwortung als Abgeordneter des Deutschen Bundestages sehe ich darin, zu versuchen (zu erreichen): wer ist in der Lage, auf Putin Einfluss zu nehmen, um zu diesem Moment zu kommen, die Waffenhandlungen einzustellen. Und wenn es in der Vergangenheit nicht geklappt hat, dann muss man es nochmal probieren.

Dass das schwierig ist, daran habe ich keinen Zweifel.

Aber dass es ohne Alternative ist - weil die Alternative ist für mich nur die Eskalation des Krieges...."


Dr. med. Lars Pohlmeier ist Vorsitzender der deutschen Sektion der Organisation Internationale Ärztinnen und Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) und Facharzt für Innere Medizin. Seit mehr als 30 Jahren ist er Repräsentant der deutschen und internationalen IPPNW mit Schwerpunkt Sicherheit und atomare Abrüstung. Er war langjährig Mitglied des internationalen IPPNW-Vorstandes, darunter IPPNW-Präsident für Europa und Vorsitzender des internationalen Vorstandes. Er ist unter anderem Mit-Initiator der von der IPPNW gegründeten ICAN-Kampagne (International Campaign to abolish Nuclear Weapons), die 2017 den Friedensnobelpreis erhielt.


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