Die Rolle der Medien im Ukraine-Krieg

Veröffentlicht am 10. April 2023 um 01:30

„Im Krieg ist das erste Opfer die Wahrheit“, heißt es:

In Russland wird nicht nur in den Staatsmedien, sondern auch in den Sphären des Internets jede Kritik an der Regierung und ihrem Kriegskurs unterdrückt. Die Ukraine kontrolliert streng die Berichterstattung von der Front und aus den Kriegsgebieten. Die Militärdoktrin der USA beschreibt die Informationssphäre als einen von sechs Bereichen, in denen sie „Full Spectrum Dominance“ erreichen möchte. Das heißt im Klartext, vollständige Kontrolle über die Darstellung militärisch relevanter Sachverhalte in den Medien zu erreichen. 

Doch wie sieht die Situation in Deutschland aus? Formell sind wir nicht im Kriegszustand, doch es gibt den Versuch der Einflussnahme. Russische Cyber-Trolls versuchen, ihnen genehme Informationen in sozialen Netzwerken und Internetportalen zu verbreiten, während westliche Geheimdienste strategisch planen, welche Informationen sie den Medien zuspielen.

Was für Auswirkungen hat das? Gibt es Tendenzen in der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg? Lassen sich Merkmale der Propaganda feststellen?

Befürwortung von Waffenlieferungen

Ein vom Otto-Brenner-Institut beauftragter quantitativer Forschungsbericht der Johannes-Gutenberg-Universität fasste Ende Januar Erkenntnisse zu diesbezüglichen Entwicklungen in den ersten Kriegsmonaten zusammen.

Interessanterweise waren die untersuchten Berichte in diesem Zeitraum durchaus regierungskritisch, jedoch fast immer mit der Stoßrichtung, die Waffenlieferungen kämen zu zögerlich.

Von 5 verschiedenen möglichen Vorgehensweisen erhielten diplomatische Verhandlungen die geringste Zustimmung. 

Besonders deutlich und direkt im Zusammenhang mit konkreten Entscheidungen wird diese Tendenz bei der zeitlichen Aufschlüsselung positiver und negativer Bewertungen für Bundeskanzler Scholz sichtbar.

Dieser hatte zu Beginn der russischen Invasion eine „Zeitenwende“ mit 100 Milliarden „Sondervermögen“ für die Bundeswehr angekündigt und damit in den Medien eine glänzende Figur abgegeben. Anschließend sank dort jedoch sein Standing, weil er weniger Waffenlieferungen als andere führende Politiker befürwortete und immer mehr als „zögerlich“ abgestempelt wurde. Den Tiefpunkt erreichte er Mitte April, als die meisten anderen Politiker sich bereits für die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine ausgesprochen hatten. Als er Anfang Mai nachgab und ebenfalls zustimmte, schnellten seine Werte vorübergehend in die Höhe, ohne dass er das Stigma als Zauderer dauerhaft ablegen konnte.

Widersprüchliche Berichterstattung

Ein weiteres Phänomen war die widersprüchliche und irreführende Berichterstattung bei zentralen Ereignissen des vergangenen Kriegsjahres.

Als im Sommer das Kernkraftwerk Saporischschja beschossen wurde, beschuldigten sich beide Seiten gegenseitig, dafür verantwortlich zu sein. Allerdings war das AKW durch russische Truppen besetzt und die Plausibilität eines Selbstbeschusses vergleichsweise gering. Um den Eindruck zu vermeiden, dass die ukrainische Armee (möglicherweise mit westlichen Waffen) einen Atomunfall riskierte, meldete beispielsweise die Tagesschau am 13.8. paradoxerweise, russische Truppen hätten „das Gelände des Atomkraftwerks unter Feuer genommen“, gleichzeitig jedoch, sie „benutzten das Atomkraftwerk als Schutzschild, während sie die Ortschaften auf der anderen Seite des Dnjepr beschossen“.

Auch die Berichterstattung zu den Anschlägen auf die „Nordstream“-Pipelines Ende September trug wenig Erhellendes bei.

Zunächst urteilten die befragten Experten und zuständigen Kommentatoren beinahe einhellig, nur staatliche Akteure könnten solche Anschläge begehen, um im weiteren Verlauf der Analyse Russland als wahrscheinlichen Täter darzustellen – obwohl Russland einer der Hauptgeschädigten war. Als die Ermittlungen stockten, ließ das Medieninteresse für Nordstream stark nach.

Im Februar erschien dann ein detaillierter und konkreter Bericht des US-amerikanischen Pulitzer-Preisträgers Seymour Hersh, wie die amerikanische Regierung und der CIA die Sprengung geplant und durchgeführt hätten. Diese Deutung war (ob wahr oder nicht) untragbar, denn Zweifel an der Freundschaft der USA hätten dem Image der NATO massiv geschadet.

Nun warteten die ARD und die Zeit mit einer anderen, ebenfalls detaillierten und konkreten Version auf. Sechs Personen hätten den Anschlag auf eigene Faust mit einer kleinen Yacht durchgeführt, hieß es. Das widersprach jedoch den ursprünglichen Aussagen: Gab es jetzt eine staatliche Beteiligung oder nicht? In dem folgenden vielstimmigen Medienecho war die Version, dass es der CIA gewesen sein könne, nur noch eine von vielen.

Vorher-Nachher-Vergleich des Lecks durch Fotos des Satelliten Sentinel-2 (30.09.2022 und 03.10.2022)

Elemente der Propaganda

Die Bundeszentrale für politische Bildung nennt auf ihrer Website 9 bekannte „Methoden der Kriegspropaganda“. Für einige davon finden sich auch in den deutschen Medien Beispiele.

Die erste und fraglos wichtigste Technik ist die „Angsterzeugung“:

Eine Bevölkerung, die sich nicht bedroht fühlt, lehnt die Verwicklung in einen Krieg ab.

Daher spricht die russische Staatspropaganda regelmäßig von einer Bedrohung Russlands durch die NATO, und aus demselben Grund wird in westlichen Medien argumentiert, Putin plane nach einer potenziellen Eroberung der Ukraine weitere Angriffe auf andere europäische Staaten. Unter diesen Punkt fällt auch die Dämonisierung des Feindes durch Faschismus- und Hitler-Vergleiche.

Im Bereich „sprachliche Verzerrung“ wird der Gegner mit negativen „Black Words“ („Unterdrückung“, „Regime“, das „Böse“) belegt, die eigene (oder in diesem Fall die ukrainische Seite) dagegen mit positiven „White Words“ wie „Freiheit“, „Demokratie“ usw. beschrieben.

Beim „Mitläuferfang“ kommt es darauf an, die eigene Position als Mehrheitsmeinung darzustellen, da Menschen instinktiv vor einer Ausgrenzung als Minderheit zurückschrecken.

Derartige Situationen gab es im deutschen Fernsehen in Talkshows, in denen einzelne Gegner von Waffenlieferungen drei oder vier Befürwortern gegenüberstanden, die gelegentlich auch vom Moderator unterstützt wurden, wie beispielsweise in der Sendung „Markus Lanz“ vom 2.6.22 mit der Politologin Ulrike Guerot.

Die „Ästhetisierung“ ist eine bekannte Begleiterscheinung moderner Kriege und macht auch vor dem Thema Ukraine-Krieg nicht halt: Militärs erhalten Gelegenheit, Waffentechnik salonfähig zu machen, und Experten erläutern der Öffentlichkeit die Vorzüge hochentwickelter Tötungsgeräte.

Auch der Punkt „Empfindungssteuerung“ verdient Beachtung: Dies ist eine Technik, auf unerwünschte Ereignisse so zu reagieren, dass die Diskussion in eine andere Richtung gelenkt wird. Unter Umständen ist der Umgang mit der Nordstream-Affäre ein Beispiel dafür.

Jan Menning (DsW), auch erschienen in friedlicht Nr. 67, DFG-VK Mainz/Hessen, 2023, S. 7


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